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„Der Leidensdruck ist groß“

Vor 18 Jahren musste Paul Boos sich einer Prostata-Operation unterziehen. Wie lebt er seitdem mit den Begleiterscheinungen? Wir haben ihn gefragt.

Sie wurden 2003 an der Prostata operiert. Welche Folgen hat das mit sich gebracht?

Die Operation verlief leider nicht wie vorhergesagt und gewünscht. Beim Eingriff wurden Nerven durchtrennt. Das führte zu einer erheblichen Inkontinenz und auch zu Impotenz. Damals war ich 72 Jahre. Da konnte ich mich mit der Impotenz abfinden. Aber die Inkontinenz beeinträchtigte meinen Alltag schon sehr stark. Viele Jahr zuvor hatte ich eine Leisten-OP, bei der ein Netz eingesetzt wurde. Das Netz war mit der Prostata und den Nerven verwachsen. Da war eine Durchtrennung der Nerven bei der Prostata-OP schon vorprogrammiert.

Harnverlust nach einer solchen OP ist – ebenso wie Impotenz – unter Männern oft ein Tabu-Thema. Warum ist das so?

Diese Themen treffen den intimsten Bereich eines Mannes, der zuvor als „starker Kerl“ galt. Jetzt soll er plötzlich erklären, dass er im Bett nicht mehr kann. Und er muss ein Inkontinenzprodukt tragen, weil der den Harn nicht mehr halten kann. Das ist beschämend. Der Leidensdruck ist für Betroffene sehr groß. Sie wollen darüber nicht sprechen, weil sie sich schämen. Zudem haben viele Angst, dass andere Menschen etwas riechen oder einen nassen Fleck auf der Hose bemerken. Da vermeidet man die Öffentlichkeit.

Sie dagegen sprechen sehr offen über das Thema. Warum halten Sie das für wichtig?

Als ehemaliger Soldat weiß ich, dass Angriff oft die beste Verteidigung ist. Daher habe ich von Anfang an über diese Probleme offen gesprochen. Jeder wusste von meiner Inkontinenz und ich habe Witze darüber gemacht. Auf die Frage, wie es mir geht, war meine Antwort: „Im Gesicht fehlt mir nichts, ich pinkle bloß in die Hose!“ Dann war der Bann gebrochen und manche haben sich sogar nach Einzelheiten erkundigt.

2005 haben Sie in Ihrem Heimatort Sonthofen eine Selbsthilfegruppe für Betroffene gegründet. Wie war die Reaktion darauf?

Die Selbsthilfegruppe hatte schon bald einen großen Zulauf. Am Anfang kamen ganz verschämt acht Männer, die ich persönlich kannte. Dann waren wir über 30 Teilnehmer. Wenn ein Neuling kam, hörte er erstmal den anderen zu. Dann schilderte er seine Probleme. Die anfänglichen Hemmungen waren schnell vergessen. Die Teilnehmer spürten, dass sie nicht alleine waren. Zudem bekamen sie viele hilfreiche Tipps, beispielsweise, dass manche Betroffene zusätzlich eine spezielle Penisklemme benutzen, statt sich einen künstlichen Schließmuskel einbauen zu lassen.

Welche Tipps haben Sie für Betroffene im Alltag?

Männer mit Harnverlust sollten möglichst offen damit umgehen. Das ist am Anfang natürlich nicht leicht, aber man lebt so viel unbeschwerter. Im Alltag sind dunkle Hosen von Vorteil – denn wenn doch mal was daneben geht, sieht man nicht sofort einen Fleck. Außerdem sollten Betroffene immer einige Ersatzprodukte und eine zweite Unterhose dabeihaben. Gerade dann, wenn man mal länger unterwegs ist. Bei Unternehmungen ist ein bisschen Vorausplanung erforderlich. Wanderwege sollte man beispielsweise immer so aussuchen, dass ein Wechsel des Inkontinenzprodukts problemlos möglich ist – auf der Toilette oder in einem Gebüsch. Schließlich sollten Männer ein Miktionsprotokoll führen und darin festhalten, bei welchen Tätigkeiten besonders viel Harn abgeht.